Von Dagmar Riefler

…und plötzlich war es ganz einfach. Die Zeit war reif für die Insel im Mittelmeer…eine Auswandergeschichte in vier Etappen.

Für viele Auswanderer ist der Umzug in ein anderes Land die letzte Konsequenz einer Reise, die sie im Kopf schon lange vorher angetreten haben. So auch bei mir. Es war ein Traum, der plötzlich immer mehr Form annahm. Das berühmte „wie wäre es wohl, in einem anderen Land zu leben?“. Die Neugier auf viele unbekannt scheinende Dinge, die den Tagen eine andere Wende geben würden. Der Eifer, Neues zu lernen und eine fremde Sprache nicht nur zu sprechen, sondern zu leben.

Ein Traum, der immer wieder geträumt werden wollte und sich nicht von einem bis dahin wunderschön gelebten Leben abschrecken ließ. Ein Traum, der langsam intensiver wurde und immer mehr ins Detail ging. Genau so, wie das parallel laufende „wirkliche“ Leben, das immer mehr Form annahm. Weshalb sich gerade dieser Traum, vom Leben in einem anderen Land, so hartnäckig von mir geträumt werden wollte weiß ich bis heute nicht.

Aber er war da und heute ist er zur Wirklichkeit geworden mit all ihren Konsequenzen; dem unfassbar schönen Gefühl, dass Träume der erste Schritt zur Erreichung eines großen Zieles sind. Natürlich sind da auch die weniger traumhaften Seiten, die im Alltag gemeistert werden wollen, die aber gleichzeitig Stoff für neue Träume liefern.

Mich hat mein Traum vor zehn Jahren nach Spanien geführt. Dort lebe ich heute noch auf der berühmten Insel im Mittelmeer, die für mich das Tor nach Südamerika wurde. Und all das nur, weil mir das Spanische so „spanisch“ vor kam.

Kapitel 1: Zigeunerseele am Baggersee

Angefangen hat alles an einem ganz normalen Sommertag im Jahr 1985. Die Semesterferien standen vor der Tür und damit die Frage nach dem sommerlichen Reiseziel. Denn die Aussicht auf drei Monate vorlesungsfreie Zeit war einfach zu verlockend, um diese komplett mit dem Studieren theoretischer Wirtschaftsbücher zu füllen. Im Jahr vorher hatte ich in Frankreich gearbeitet und aus den geplanten sechs Wochen wurden zehn, weil einmal weg, das Wegsein ganz leicht macht.

Die letzten Wochen waren anstrengend. Wie immer drängten sich die Klausuren am Semesterende und sie mussten bestanden werden, denn nur so blieb der Sommer frei und offen, ohne drohende Nachholtermine am Ende für nicht bestandene Klausuren. Die sommerlichen Urlaubsvorschläge meiner Freunde hatte ich alle erfolgreich abgewimmelt. Weshalb sollte ich nur zwei Wochen weg, wenn so viele freie Wochen vor mir lagen. Aber eine Idee hatte ich auch nicht und es fehlten nur noch ein paar Tage bis zum Beginn der Ferien.

Eine Inspiration musste her. Also fuhr ich kurz entschlossen zu einem kleinen Baggersee in Gönningen, den ich seit Jahren nicht mehr aufgesucht hatte. Beseelt mit den besten Erinnerungen an den kleinen romantischen See schwang ich mich sportlich aufs Fahrrad.

Leider war dort alles nicht mehr so romantisch, wie in meiner Erinnerung. Der See war kleiner, grüner und dunkler. Dafür war es an seinen Ufern bunt und überfüllt. Etwas grimmig breitete ich mein Handtuch aus und freute mich auf mein Buch, dass mich so in seinen Bann zog, dass ich dem kleinen grünen See und den vielen Leute keine Beachtung mehr schenkte. Auch nicht dem Himmel, der plötzlich mit ein paar Wolken drohte. Die Aussicht auf eine Radfahrt im Regen war wenig verlockend, deshalb fing ich an, zusammenzupacken.

Da bemerkte ich neben mir das Buch. Klein und unscheinbar lag es am Rande eines Handtuches. Die Sprache des Titels war mir fremd. Neugierig geworden warf ich einen Blick auf den Besitzer, der neben dem Buch lag. Sollte ich ihn einfach ansprechen? Wegen einem Buch? Warum eigentlich nicht? Irgendeine Aktion musste ich an diesem ansonsten wenig ereignisreichen Tag noch in die Wege leiten. Also nahm ich viermal geistig Anlauf, bevor ich ziemlich unkreativ fragte: “Was ist das für eine Sprache?“

Klar, dass mich der Besitzer des Buches etwas irritiert anschaute, aber sich zum Glück als sehr freundlich entpuppte. Es war ein Spanisch Buch. Er erzählte mir von einer Spanisch Schule in Málaga. Wir redeten, bis der Regen kam. Dann fuhr ich zwar nass aber mit interessantem Gepäck heim. Ich hatte die Adresse dieser Sprachschule. Zu Hause angekommen suchte ich Málaga auf der Spanien Karte. Ganz schön weit weg, dachte ich.

Das dachte ich auch noch am nächsten Morgen. Doch da war schon der andere Gedanke: “da muss ich hin.“ Ein Auslandsgespräch nach Spanien war damals für mich ein Ereignis, dass einen halben Tag Überwindung kostete und mich Runde um Runde  das Telefon an der Wand drehen ließ. Eine Unterhaltung war der Anruf dann nicht wirklich, weil meine Gesprächspartnerin am anderen Ende kaum Englisch konnte, aber immerhin erfuhr ich, dass der nächste Kurs am Montag beginnen sollte und ich in einer Familie wohnen konnte.

Das hörte sich schon mal gut an. Blieben noch fünf Tage und damit keine Zeit mehr für familiäre Einwände. Am nächsten Tag fuhr meine Mutter mit mir zu einem Reisebüro und da erlebten wir die erste Überraschung. Obwohl in seriöser Begleitung meiner Mutter, schaute mich die Mitarbeiterin mahnend an und meinte skeptisch, was ich denn in Spanien wolle. Meine Mutter erzählte ganz stolz von meinem Spanischkurs, doch die gute Reisebürofrau gab ihr dreist zur Antwort „und das glauben sie“ – das zum Thema Image der alleinreisenden Deutschen in den 80er Jahren.

Wir kauften ein Ticket für eine Fahrt mit dem Europabus, von dessen Existenz ich bis dahin noch nie gehört hatte. Dann ging alles ganz schnell und ich stand in Stuttgart vor dem Bus, mit einer großen Tasche samt Essen für die zwei Tage, die die Fahrt dauern sollte. Noch war ich gut gestimmt, aber das änderte sich schnell, als der Bus losfuhr und ich feststellte, dass Spanien schon hier im Bus anfing. Alles waren Spanier, redeten Spanisch – selbst der Busfahrer. Kleinlaut saß ich auf meinem Platz und war von meiner Idee nicht mehr sehr überzeugt.

Mein Schicksal hatte wohl ein Einsehen, weil ich plötzlich auf Deutsch angeredet wurde. Von einem netten Studenten, den ich vorher nicht bemerkt hatte und der nach Alicante wollte. Er ernannte sich freiwillig zu meinem Dolmetscher und noch vor der Grenze nach Frankreich sollte ich einen ersten Einblick in die spanischen Gepflogenheiten bekommen. Das hatte ich noch nie erlebt; binnen kürzester Zeit waren wir Passagiere eine große Familie. Die Fahrt mutierte zum gigantischen Picknick, weil jeder irgendwelche Leckereien dabei hatte, die alle probieren mussten.

Als sich ab Barcelona die ersten Passagiere verabschiedeten war das jedes Mal eine kleine Tragödie. In Alicante ging dann auch mein mir mittlerweile ans Herz gewachsener Dolmetscher und ich wartete ziemlich traurig auf das Ende der Fahrt. Das war dann mitten in Malaga, an einem wenig attraktiven Platz. Dort stand ich umgeben von Müll, verstand kein Wort aber beseelt von einem unerklärlichen Gefühl, genau hier sein zu wollen.

Aus einem Monat in der Sprachschule wurden zwei, weil es so schön, so erlebnisreich und überhaupt so spanisch war. Das Spanien einmal meine Heimat werden sollte, hätte ich zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht gedacht. Euphorisch war meine Rückkehr nach Deutschland nicht gerade, da hatte sich wohl ein kleiner spanischer Virus unbemerkt in mein Herz gesetzt. Plichtbewußt studierte ich meine Wirtschaftsfächer und begeistert füllte ich die Lücken mit irgendwelchen Vorlesungen an der spanischen Fakultät.

Ein Jahr später zog es mich wieder für einen Monat in die kleine Schule nach Malaga, wo gleich eine mehrfache Überraschung auf mich wartete; fünf Studenten aus dem Vorjahr waren da und einer hatte nicht mal mehr den Weg zurück gefunden, weil in eine Spanierin verliebt.

Ich fand den Weg zurück und ließ meine Vernunft gewähren, die mich zur Beendigung meines Wirtschaftsstudiums trieb und anschließend die Idee der klassischen Karriere hatte. Angestellt, dann selbstständig, immer umgeben von prächtigen, lieben Freunden in traumhaften Gegenden. Doch das Spanisch Virus in meinem Herzen arbeitete unbeirrt fleißig vor sich hin.

Kapitel 2: Reisen tröstet, aber sättigt nicht